„Man muss sich einlassen…“

„Man muss sich einlassen…“

Ein Gespräch mit der Bad Honnefer Geigerin Theresa Lier

Es gibt Zitronentee und Kekse. Schön, dass Sie Zeit gefunden haben! sage ich. Ja, sie freue sich auch. Und: Duzen wäre schon o.k.  Theresa Lier lacht hell auf, sehr temperamentvoll und etwas verlegen.

Das Frühjahrskonzert mit dem COLLEGIUM MUSICUM im Mai sei ein Heimspiel. Schließlich sei sie in Bad Honnef aufgewachsen. Zusammen mit vier Brüdern! „Dadurch bin ich wohl abgehärtet worden. Schließlich musste ich mich da auch oft durchbeißen“. Und sie lacht meine Frage, woher ihre Energie komme, damit ein bisschen weg. In ihrer Schulzeit spielte Theresa einige Monate im Musikschulorchester Bad Honnef. 2006, da war sie 15, fragte Rolf Beitzel, ob sie Bachs a-moll-Violinkonzert mit dem COLLEGIUM MUSICUM spielen wolle. Sie war eine ausgezeichnete Schülerin und das Konzert ein großer Erfolg. „Ich freue mich, dass ich jetzt auch das zweite Violinkonzert von Bach mit dem Orchester spielen kann.“  Bei den ersten Proben Mitte März möchte sie bereits gerne dabei sein.

“Man braucht sehr viel Power…”

Sie sitzt da und strahlt, nippt an ihrem Tee und wartet auf meine Fragen. 22 Jahre alt, mädchenhaft und scheinbar ungezwungen. Ich möchte wissen, welches Violinkonzert sie am meisten mag. „Das Violinkonzert von Brahms!“ antwortet sie wie aus der Pistole geschossen. Warum gerade Brahms? „Ich denke, dass es gut zu mir passt: es ist sehr kraftvoll und energiegeladen.“  Sie ist fasziniert und angeregt vom besonderen Charakter des Stückes. Vor allem der lebendige Dialog und Austausch zwischen Orchester und Soloinstrument gefällt ihr. „Ich find’s einfach toll!! – Man braucht sehr viel Energie dafür, sehr viel Power, um das zu spielen, aber ich glaube: Die hab‘ ich…“, lacht und schiebt leise hinterher: „…hoff‘ ich.“ Wieder diese Energie und Lebensfreude und ein keckes Understatement.

Ich habe gelesen, dass sie Ashtanga-Yoga macht. Ja, an der Musikhochschule besuche sie seit eineinhalb Jahren einen Kurs. Um zur Ruhe zu kommen. Im Hinblick auf das Geigen.  „Nervlich ist das manchmal sehr aufreibend. Man braucht eine dicke Elefantenhaut, um im Studium nicht unterzugehen, nicht psychisch kaputtzugehen…“ Sie sagt das mit Nachdruck und großer Ernsthaftigkeit. „Ich brauche einen Ausgleich, sonst dreh‘ ich durch.” Hin und wieder gehe sie auch laufen. Und durch ihre Brüder sei sie auch zum Mountainbikefahren gekommen. „Das geht besonders hier im Siebengebirge traumhaft gut.“

Theresa Lier mit Geige - Kopie

Glück an der Geige: Theresa Lier (Foto: Anne Orthen)

“Man muss schon taff sein!”

Theresa Lier studiert Geige an der Musikhochschule Köln am Standort Aachen. Sie war bereits Mitglied in der Deutschen Streicherphilharmonie und dem Bundesjugendorchester, gewann den 1. Preis bei „Jugend musiziert“ auf Bundesebene, sowie den Klassikpreis der Stadt Münster und des WDR. Das alles klingt nach den idealen Bedingungen für eine glanzvolle Karriere.

Nachdenklich und ernst beschreibt sie die Schwierigkeiten, mit denen angehende Musiker zu kämpfen haben: „Jeder, der Musik studiert, weiß, dass es extrem schwierig ist einen Job zu bekommen. Und diese Angst begleitet einen das ganze Studium lang.“  Ihr Lehrer Skerdjano Keraj, selbst Folkwang-Preisträger, sage zwar, sie solle nicht so jobfixiert denken, „aber es ist sehr schwer das auszuschalten.“ Die Zahl der Musikstudenten steigt. Gleichzeitig werden die finanziellen Mittel gekürzt. Das heißt, Orchester werden zusammengelegt oder gänzlich aufgelöst. Andererseits steigt die musikalische Qualität deutlich an. Doch es gibt immer weniger Stellen. Der Druck für die Studenten ist enorm. „Vor allem die Asiaten, die an die Hochschulen kommen, haben eine sehr gute Technik, die sind fast perfekt … da müssen wir mithalten, da kann man sich keinen Aussetzer leisten.“ Und es klingt wie ein Appell an Disziplin und Willenskraft, wenn sie hinzufügt: „Man muss Spaß haben, aber da ist auch der Druck, dass man da mithalten muss. Man muss viel üben, um da mithalten zu können. Es ist zwar blöd, dass es dieses Konkurrenzdenken gibt, aber…später gibt es dann Probenspiele, und es gibt nur eine freie Stelle, und ich spiele dann mit meinen Kommilitonen um diese eine Stelle. Da muss man schon taff sein. Und jeder will diese Stelle ja haben.“

“Eines der besten Orchester der Welt…”

Ihre Traumstelle? Sie blickt kurz aus dem Fenster, dann auf ihre Hände, die sie auf dem Schoß verknotet hat: „Mein Lieblingsorchester ist die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen. Eines der besten Orchester der Welt. – Behaupte ich jetzt mal…“ – Ja, das Orchester ist tatsächlich außergewöhnlich. So sind die Musiker alleinige Gesellschafter des Ensembles. Unter seinem musikalischen Leiter Paavo Järvi ist es seit 2005 „orchestra in residence“ des Beethovenfestes Bonn. Es veranstaltet regelmäßig Konzerteinführungen und Workshops und pflegt eine intensive Zusammenarbeit mit Schulen und Erwachsenenbildungsinstituten. Zudem bringt es Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen mit klassischer Musik in Kontakt.

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„Man muss sich einlassen. Und die Musik einfach wirken lassen. Ohne zu werten. Einfach in dem Moment da sein. Ich hoffe, dass das nicht verloren geht.“ (Foto: Paul Schilling)

Theresa bekommt glänzende Augen. „Mir gefällt es, dass es dort nicht diese Unterordnung gibt. Jeder Musiker kann was  zu den Stücken sagen. Es gibt Seminare in denen über die Stücke gesprochen wird. Und es gibt ein echtes Mitspracherecht. Das führt dann auch zu einem stärkeren Miteinander innerhalb des Orchesters, wovon die Musik profitiert.“ Ja, die Deutsche Kammerphilharmonie sei ein echter Traum. „Aber man muss Träume haben. Man kann die Ziele auch hoch stecken und dann kann man gucken, wie weit man kommt.“ Ein gutes Programm denke ich, eine echte Marschroute. Und ein guter Abschluss. Aber dann möchte ich doch noch wissen, wie man mehr Menschen für klassische Musik begeistern kann. Moderierte Konzerte oder Veranstaltungen à la „best of classics“ vielleicht?

“Ich hoffe, dass das nicht verlorengeht!”

Nein, es sei schade, (und sie sagt das mit großer Bestimmtheit), wenn wir Kompositionen so zerstückeln. „Ich habe den Eindruck, wenn wir das machen, dann trauen wir dem Publikum nichts mehr zu. Ein Gesamtwerk ganz zu hören, das zeugt auch von einer großen Schönheit.“ Nein, sie wisse nicht, ob sie da mitmachen wolle: Nur um dem Publikum gerecht zu werden, alles so zu zerstückeln, so mundgerecht zu machen… Und plötzlich ist sie mitten in einer musikphilosophischen Betrachtung, nachdenklich, ernst und bei allem Suchenden doch auch sehr sicher und konzentriert. „Die Fähigkeit, die Bereitschaft sich auf eine Sache länger zu konzentrieren geht immer mehr verloren. Dass man sich hinsetzt und ein Musikstück hört, das macht man heute eigentlich nicht mehr… Dass man sich auf eine Sache konzentriert, das geht so verloren in unserer Gesellschaft.  Und ich möchte bei der Musik da nicht mitziehen. Ich möchte eigentlich gegen diese Entwicklung, diesen Mainstream anschwimmen.“ Sie macht eine lange Pause. Nachdenklich und etwas verträumt  fügt sie hinzu: „Man muss sich einlassen. Und die Musik einfach wirken lassen. Ohne zu werten. Einfach in dem Moment da sein. Ich hoffe, dass das nicht verloren geht.“ Dann lacht sie kurz auf und sagt, mehr schulterzuckend als bedauernd: „Ich bin da wohl eher konservativ… Weil im Alltag ist man mit so vielen Dingen beschäftigt, fünf Minuten hier, fünf Minuten da… Wenn das jetzt auch noch in Konzerten so präsentiert wird, dann geht man irgendwann ein!“

Dieses extreme Glücksgefühl

Ob es schwieriger sei mit dem Überfluss, als mit dem Mangel umzugehen, hake ich nach. Und dann rundet sie unser Gespräch mit einem ganz persönlichen Schlusswort ab: „Ja, Menschen sind mit dem Überfluss überfordert. Seit 17 Jahren spiele ich jetzt Geige, das ist eine extrem lange Zeit. Was aber total schön ist, weil ich mich nur auf dieses eine Instrument konzentriert habe. Dieses Fokussieren auf eine Sache und dabeibleiben … das zahlt sich aus, es lohnt sich. Diese Freude, dieser Spaß, die waren zwar schon immer da, aber die haben sich in den letzten Jahren extrem gesteigert. Dieses extreme Glücksgefühl entsteht eigentlich jetzt erst. Das schaffen viele Menschen heute, glaube ich, gar nicht mehr, sich auf eine Sache zu konzentrieren, weil sie von anderen Dingen abgelenkt werden. Aber ich glaube, dass das nicht glücklich macht.“ Ob dafür viel Disziplin nötig sei, will ich wissen.  „Ja, man braucht viel Disziplin, man muss dran bleiben, es erfordert sehr viel Arbeit. Es ist nicht immer schön, es ist Arbeit. Ja, aber es lohnt sich. Ich kann das sagen für das Geigenspiel, dass es mir total viel gibt und Freude macht. Dass ich sogar Spaß beim Üben habe. Total cool!“ Jetzt strahlt sie tatsächlich glücklich und verwirrt darüber, dass das möglich ist.

Wir verabschieden uns. Für den Beitrag will sie mir noch ein paar Fotos von sich schicken. Von den Keksen hat sie keinen angerührt.

Text: Paul Schilling

Linktipps:

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Theresa Lier beim Moritzburg Festival

 

Frühjahrskonzert 2014

 

“Umjubelter Auftritt” – Pressekritik und Bilder vom Frühjahrskonzert 2014

 

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Theresa Lier spielt am 4. Mai 2014 das Violinkonzert in E-Dur von J.S. Bach im Kurhaus Bad Honnef. 

 

Lier YouTube

 

Paganinni und Lalo: Theresa Lier bei YouTube